Menschen messen meist mit zweierlei Maß. Das ist offensichtlich bei der Debatte um das Bürgergeld. Objektiv bringen Kürzungen der Bezüge und Schikanen der Empfänger dem Staat keine großen Ersparnisse. Aber sie zahlen populistisch auf das Konto der Parteien ein, die den Bürgern vorgaukeln, Bürgergeldbezieher drückten sich vor Arbeit. Die Masche verfängt, weil sich die wenigsten Menschen selbst ein Bild machen, sondern auf Parolen vertrauen.
Noch wesentlich krasser funktioniert dieser Trick bei den beiden Kriegen, die uns derzeit am häufigsten beschäftigen: In der Ukraine sowie in Gaza. Gut und Böse werden uns aufgezwungen. Der Aggressor Russland, das Opfer Israel. Der eine Staat im Angriffsmodus, der andere verteidigt sich lediglich. Beides ist nur die halbe Wahrheit. Ja, Russland hat die Ukraine angegriffen und ja, Israel wurde von der Hamas brutal überfallen. Das sind die oberflächlichen Tatsachen. Gründe und Zusammenhänge reichen weitaus tiefer. Ein Blick in die Geschichte zeigt ein wechselseitig schwieriges Verhältnis zwischen Russland und der Ukraine. Hinzu kommt, dass Nato und EU in Russlands Nachbarland ernsthaft Fuß zu fassen drohten. Russland fühlte sich herausgefordert, zu ernsthaften Verhandlungen war der Westen kaum bereit. Die Lage spitzte sich zu. Rechtfertigt dies einen Krieg? Ganz sicher nicht. Doch auch der tragische Überfall der Hamas auf Israel rechtfertigt weder einen langwierigen Krieg gegen die Bevölkerung in Gaza noch einen Genozid und schon gar nicht die Annektierung des von Palästinensern bewohnten Landes. Offensichtlich nutzt Israel einfach seine Chance auf die Vergrößerung des eigenen Staates. Auch hier zeigt ein Blick in die Geschichte: Der brutale Überfall des 7. Oktober 2024 ist letztlich eine – wenn auch nicht entschuldbare – Reaktion auf die Unterdrückung der Palästinenser durch Israel über Jahrzehnte.
Hass gegen Andersdenkende
Es gibt also zwei Kriege, die nachvollziehbare Gründe haben. Jeder rational denkende Mensch dürfte also erwarten, dass die internationale Staatengemeinschaft diese Gründe analysiert und in beiden Fällen gleichermaßen zu dem Schluss kommt, dass Gewalt abzulehnen ist, aber dringender Verhandlungsbedarf besteht und entsprechende Lösungsvorschläge unterbreitet. Was stattdessen passiert ist folgendes: Russland wird einseitig aufgefordert, den Krieg sofort zu beenden und mit Sanktionen belegt, während die Ukraine Waffenlieferungen erhält. Israel dagegen darf ungestraft zehntausende von Palästinensern töten und wird darüber hinaus weiter mit Waffen beliefert, obwohl der Staat längst ebenfalls einen Angriffskrieg führt. Sogar die Bedingungen für die Definition eines Genozids sind in Gaza erfüllt, dennoch schweigen die westlichen Staaten und unterstützen weiterhin Israel. Kein Mitleid mit den Palästinensern, aber offene Türen für die Ukrainer, obwohl Russland derzeit trotz zahlreicher getöteter Menschen weit davon entfernt ist, einen Völkermord in der Ukraine zu begehen.
Noch einmal ganz deutlich: Jede Form von Gewalt ist unter allen Umständen abzulehnen. Auch die Gewalt eines Staates gegen seine protestierenden Bürger. Doch was geschieht? Kritiker der israelischen Gewalt in Gaza werden als Antisemiten diffamiert und Menschen, die darauf hinweisen, dass Russland nicht alleiniger Kriegstreiber ist, als Freunde Putins. Hass wird geschürt gegen Andersdenkende und massive Polizeigewalt gegenüber Demonstranten eingesetzt. Was ist davon zu halten? Deutschland steht traditionell nach den Gräueltaten des Holocausts, bei denen sechs Millionen Juden bestialisch ermordet wurden, traditionell an der Seite Israels. Aber wie weit sollte dieses Bündnis gehen – und wie unkritisch darf es sein? Gerade unter Freunden ist es ratsam, sich gelegentlich offen die Meinung zu sagen. Oder ist Israel gar nicht der Freund Deutschlands, sondern gilt es nach wie vor eine Schuld abzutragen? Dann allerdings fragt sich, weshalb diese moralische Verpflichtung nicht auch Russland gegenüber besteht. Schließlich starben durch den deutschen Angriffskrieg zwischen 1941 und 1945 allein 14,6 Millionen russische Zivilisten an direkten Kriegsfolgen oder wurden bei gezielten Säuberungen umgebracht – nicht zu reden von den zwölf Millionen getöteten oder vermissten russischen Soldaten.
Wandel gesellschaftlicher Ordnungen
Wie also kommt es, dass in den beiden aktuellen Kriegen mit zweierlei Maß gemessen wird? Die Antwort ist genauso naheliegend wie schockierend: Wird es nämlich gar nicht. Das Maß ist nur nicht Menschlichkeit oder irgendein moralischer Impetus. Nein, das Maß heißt einzig und allein wirtschaftlicher und politischer Nutzen. Alles andere ist vorgeschoben – sogar die ethische und menschliche Schuld gegenüber den Opfern der Naziherrschaft. Russland soll als Konkurrent in die Schranken gewiesen werden und die Ukraine ist ein wichtiger Lieferant von Rohstoffen. Israel ist das westliche Bollwerk im Nahen Osten und zudem ein starken Wirtschaftspartner im Technik- und Wehrbereich. Deutschland bezieht zum Beispiel noch immer Rüstungsgüter aus diesem kriegführenden Land – der Völkermord an den Palästinensern interessiert die Politik nicht, weil die Menschen in Gaza nichts Vergleichbares zu bieten haben. Leider ist es so einfach. Selbst das Gerede von der globalen Kriegsgefahr, die angeblich von Russland ausgeht, dient nur dazu, die Bürger zu disziplinieren und eine umfangreiche Aufrüstung zu rechtfertigen, um damit massiv Steuergelder umzuverteilen. Viel fragiler sind derzeit die Vereinigten Staaten von Amerika anzusehen, die ihre weltweite Führungsrolle einbüßen und deshalb immer unberechenbarer werden. Damit sind nicht die Verletzungen der Menschenrechte durch den russischen Staat zu rechtfertigen. Nur sollten die derzeitigen Menschenrechtsverletzungen in den Vereinigten Staaten nicht unter den Tisch gekehrt werden. Und selbst in Deutschland warnen Organisationen wie Amnesty International und Reporter ohne Grenzen vor steigenden Zahlen von Verletzungen der Menschenrechte. So werden Fälle von Polizeigewalt, die nach Angaben der genannten Organisationen zum Teil rassistisch oder rechtsextrem motiviert sind, weder ausreichend aufgeklärt, noch verfolgt.
Die Welt erlebt augenblicklich einen einschneidenden Wandel gesellschaftlicher Ordnungen. Europa gerät immer stärker in den Malstrom des Untergangs der demokratischen Ordnung in Nordamerika. Russland orientiert sich nach Asien. Israel wird sich eines Tages wie der gefürchtete Schulrowdy isoliert einer Allianz der Schwachen gegenübersehen, die das Land seit seiner Gründung unterdrückt und von der Landkarte verschwinden. Andere werden die Kontrolle übernehmen und die Erde weiter der Klimakatastrophe entgegenführen, bis sie für Menschen unbewohnbar sein wird. Dann schlägt endgültig die Stunde der künstlichen Intelligenzen als neue Lebensform.
Bis es allerdings so weit ist, sollten wir unser Leben im Wohlstand weiter genießen und nebenbei in Erwägung ziehen, nicht einen einzigen unserer Politiker mehr zu wählen. Das könnte ein Teil der